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Nicaragua es diferente

Die Geschichte hat Nicaragua noch nie begünstigt. Seit spanische Kolonialisten ab ca.1520 in der Region auftauchten ist das Land tief gespalten. Die Spanier gründeten Granada, welches über den Rio San Juan mit der Karibik und damit mit Europa verbunden ist. Dies machte Granada zum wichtigsten und wohlhabenden Handelsplatz in Zentralamerika. Leon, etwa 200 Km nördlich, entwickelte sich zum Zentrum der Intellektuellen und Liberalen, war wesentlich ärmer und wurde trotzdem zur Hauptstadt der kolonialen Provinz ernannt. Dies löste eine 250 jährige Fehde mit mehreren Bürgerkriegen aus und setzte sich über die Unabhängigkeit von Spanien (1821) hinaus fort. Um diesen Konflikt zu beenden, wurde die Hauptstadt 1852 in das neutrale Managua, in der Mitte zwischen den Beiden Rivalen verlegt. 

Ab 1850 begannen sich die USA in der Region einzumischen. Zusammen mit den Briten, welche sich seit 1633 die Bewohner der autonomen Karibikregion zu Verbündeten gegen die Spanier gemacht hatten. Die beiden Staaten sicherten sich, ohne den Einbezug Nicaraguas, gegenseitig das Recht zum Bau einer Kanalverbindung zwischen Karibik und Pazifik zu. Die Pläne, den Nicaraguasee mit dem Pazifik zu verbinden werden bis heute verfolgt, gebaut wurde jedoch weiter südlich der Panamakanal. 

Nach einer politisch relativ stabilen Phase unter einer Konservativen Regierung welche den Aufbau der grossen Kaffee- und Bananenplantagen sah, hievten die Kaffee- und Bananenoligarchen 1893 einen liberalen Präsidenten ins Amt welcher das Land einte, die Karibikregion eingliederte, Verkehrswege ausbaute, ein Schulsystem einführte und internationale Beziehungen aufbaute. Nachdem er aber die Konzessionen für die United Fruit Company (heute Chiquita) markant erhöhte und sich weigerte eine US-Anleihe zu unterzeichnen, wurde er unter Druck der USA zum Rücktritt gezwungen. Sein Nachfolger akzeptierte sogleich die Oberaufsicht eines US-Zollinspektors, welcher von New Yorker Bankern ernannt und vom US-Aussenministerium bestätigt wurde. Ausserdem stimmte der neue Präsident der Errichtung einer dauerhaften US-Militärgarnison in Managua zu. 

Diese Entwicklung liess die Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen wieder aufflammen. 1926 griffen auf Anruf der Konservativen die US-Streitkäfte ein, die Liberalen kamen 1928 dennoch an die Macht worauf die USA eine Nationalgarde aufbaute und an deren Spitze Anastasio Somoza Garcia installierte. Wenig später putschte Somoza die amtierende Regierung weg und ernannte sich selber zum Präsidenten. Er liess Liberale, darunter auch deren Anführer Augusto C. Sandino, Intellektuelle und Journalisten planmässig verfolgen, einsperren und töten. Das Regime der Somozafamilie dauerte fast 50 Jahre und war geprägt von Ausbeutung und Günstlingswirtschaft. 1979 floh der Somozaclan vor den anrückenden Sandinisten in die USA. 

1981 wurde der Oberbefehlshaber der sandinistischen Revolution, Daniel Ortega, an die Spitze einer fünfköpfigen Regierungsjunta ernannt. Die USA unterstützten unter Carter die Sozialen Bemühungen der Sandinisten. Unter Reagen wurden die Sandinisten wegen ihrer Beziehungen zu Cuba und der Sowjetunion allerdings als Kommunisten eingestuft. Die Unterstützung floss nun in Form von Waffen zu den Contras welche als Guerilla hauptsächlich von Honduras und Guatemala aus opperierten. Zudem wurde ein Handelsembargo gegen Nicaragua in Kraft gesetzt. Die Bilanz des Bürgerkriegs der 1980er Jahre sind 20'000 Tote und ein Vielfaches an Verwundeten und Vertriebenen. Die Wirtschaft lag Ende der 80er Jahre komplett am Boden. Dies gilt als Hauptgrund weshalb die Sandinisten 1990 die Wahlen verloren. Die Wahlschlappe veranlasste Ortega, seine Familie, Funktionäre und Parteigänger zu einem beispiellosen Raubzug. Sie plünderten das verbliebene Staatsvermögen komplett und übereigneten sich Grundbesitz im grossen Stil. 

90er und 0er Jahre verliefen turbulent. Geprägt vom Hickhack zwischen der meist konservativen Regierung am Gängelband der USA und den Sandinisten mit unterschiedlichen Koalitionspartnern. Nach mehreren erfolglosen Versuchen errang Daniel Ortega, Ende 2006 erneut das Präsidentenamt. Wegen Wahlbetrugsvorwürfen haben unterdessen die Meisten internationalen Geldgeber ihre Zahlungen an Nicaragua eingestellt. Ortega suchte daraufhin vermehrt die Freundschaft eines gewissen Hugo Chavez, welcher seine Ölgewinne gerne an Gleichgesinnte verteilte...über den Verbleib des Geldes herrscht allerdings Unklarheit da sich Ortega öffentlich weigert, die Milliarden in den öffentlichen Haushalt einzubringen! 2011 wurde Ortega glanzvoll wiedergewählt, nachdem er zuvor die Nicaraguanische Verfassung ändern liess, welche für einen Präsidenten nur noch maximal eine Amtsperiode von 5 Jahren vorgesehen hatte.

Nicaragua ist ein kleines Land. Wenig grösser als die Schweiz. Im Verlauf der Geschichte immer wieder gebeutelt und hin und her geworfen von unterschiedlichen politischen und ideologischen Ränkespielen, wirtschaftlichen und strategischen Interessen oder, und das mit schöner Regelmässigkeit, von starken Erdbeben betroffen. Fremdbestimmt und von den eigenen Landsleuten ausgebeutet. Die Bevölkerung erträgt all die unmittelbaren und langfristigen Konsequenzen dieser grossen und kleinen Katastrophen. Soziale Ungerechtigkeit, mangelnde Schulbildung, schlechte medizinische Versorgung und kaum Chancen seine persönliche Situation aus eigener Kraft zu verbessern. Gerade mal 4% der Nicaraguanischen Bevölkerung ist älter als 64 Jahre.

Als Gringo und im Wissen um die Geschichte fühlen wir uns hier manchmal etwas deplatziert. Die Nicas verhielten sich uns gegenüber eher etwas reserviert und zurückhaltend. Auch wenn Claudia sie direkt und auf Spanisch angesprochen hat, reagierten viele eher kurz angebunden. Die meisten Touristen hier werden in grösseren Gruppen in klimatisierten Autobussen in wenigen Tagen durch das Land geschleust.

 

Und Dennoch, dort wo man sich etwas mehr Zeit gibt um sich auf Land und Leute einzulassen, kommen oft sehr herzliche Gemüter zum Vorschein, welche viel zu erzählen haben. Gerade unsere Generation hat sehr viel erlebt. Und erzählen und diskutieren, auch mit einigem Engagement und entsprechender Gestik, ist in Nicaragua so etwas wie ein Volkssport. Literatur und Poesie sind in der kulturellen Agenda sehr gross geschrieben. Vielerorts füllen sich am späten Nachmittag die Pärke und schattigen Plätze mit Menschen, welche sich wortreich austauschen. Dabei geht es so von aussen betrachtet zuweilen sehr munter zu und her.

 

Und wir staunen, dass heute offenbar trotz jahrzehntelangem Bruderkrieg wenig Spannungen unter der Bevölkerung herrschen. Alle scheinen bemüht, die sturmgeprüfte Barke Nicaragua in ruhigere und einträglichere Gefilde (z.B. dem Tourismus) zu steuern. Dabei finden alle, welche sich uns gegenüber zu diesem Thema geäussert haben, el Presidente Ortega sei ein ganz toller Hecht, welcher sehr viel für sein Land getan hat und auch weiterhin tut. In unseren Ohren klangen diese Bezeugungen allerdings eher etwas auswendiggelernt und nach Propaganda. Aber ohne einen guten Schuss Fatalismus lässt sich die Zukunft Nicaraguas wohl kaum optimistisch angehen. 

Als Claudia und ich am 06. Februar im Bus auf der Panamericana die Grenze nach Nicaragua passierten, kannten wir diese Hintergründe natürlich noch nicht so genau. Was wir sahen waren weite, steppenartige, dürre Ebenen mit magerem Vieh, kahlgeholzte staubige Berghänge und Hügelzüge, von der Sonne ausgedörrt, vom aufgeheizten Passatwind gepeitscht. Das alleine ist schon ein sehr grosser Kontrast, wenn man aus dem immergrünen Costa Rica kommt. In Managua, der Hauptstadt, hatten wir unser erstes Ziel erreicht. Offiziell 1.3 Millionen Einwohner in ein- bis zweigeschossigen Lotterbauten. Ein Erdbeben zerstörte die Stadt 1972 fast vollständig. Die internationalen Spenden für den Wiederaufbau wanderten in die Taschen der Somoza’s und so gleichen gewisse Bereiche von Managua auch heute noch einer Ansammlung von provisorisch anmutenden Bretterbuden mit grösseren Brachflächen dazwischen. Am Ufer des Managuasees ein inszeniertes ‚Disneyland’ für die Touristen und die Oberschicht mit Restaurants, Fahrgeschäften, Souvenirs und einer Folkloreabteilung. Was fehlt sind die Besucher. Die Stadt hat keine Kanalisation, entsprechend lädt der Managuasee nicht gerade zum Baden ein. Internationale Projekte zur Rettung des Sees sind angelaufen. Der Verkehr in dieser sehr heissen Stadt ist gewaltig, ohrenbetäubend und die Abgase wabern durch die Wohngegenden. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt, alle aus kolonialer Zeit, sind bei unserem Besuch grossräumig von bewaffneten Polizei- und Armeeeinheiten abgesperrt. Staatsangelegenheit. Sin comentarios. Wir sind gleich am nächsten Tag wieder in den Bus gestiegen.

Leon ist eine geschäftige Stadt mit ca. 300'000 Einwohnern und ist bekannt für seine Universität und für seine kolonialen Bauwerke im historischen Teil der Stadt. Der zentrale Markt, die vielen verwinkelten Gassen, und die bunten Geschäfte und Strassenstände sind für uns ein spannendes Revier für Entdeckungsspaziergänge. Herrlich, sich einfach durch die Gassen treiben zu lassen und die vielseitigen Eindrücke in sich aufzusaugen. Auch kulinarisch haben wir unterschiedliche Erlebnisse gemacht. In unserem Hotel gab es zwar ein wunderschönes Restaurant mit Bar. Mit dem Koch war jedoch etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Obwohl wir für ein Zimmer mit Frühstück bezahlten, haben wir auf die lieblosen und faden und obendrein kümmerlichen ‚Machwerke’ aus dieser Küche gerne verzichtet. Stattdessen streiften wir auf der Suche nach den Zutaten für unser Frühstück durch die Gassen und liessen uns vom Angebot, welches Morgens ab sechs Uhr an unzähligen Ständen und Theken angeboten wird, inspirieren. Leche Agria sei so etwas wie Joghurt, erklärte mir der engagierte Besitzer eines kleinen Geschäfts mit Milchprodukten, welches ausserdem Offenmilch, Milchpulver, Frischkäse in verschiedenen Trocknungsgraden, sowie verschiedene Flans, Carjeta de Leche (Caramel) oder Arroz en Leche (Milchreis) feilbot. Als ich den Deckel des Bechers öffnete, sah ich zuerst das Milchserum obenauf schwimmen und darunter flockte das Eiweiss; der Geschmack erinnerte sofort an saure Milch aber nicht sonderlich stark. Doch doch, das sei genau so wie es sein müsse, versicherte mir der Produzent. Jedenfalls habe ich es so verstanden. Ich schnibbelte eine Banane hinein, süsste zusätzlich mit Honig, rührte das Ganze kräftig um und löffelte aus, ohne dass ich die Mixtur besonders lecker fand. Zwei Stunden später wanderte das Ganze dann zusammen mit dem restlichen Frühstück in die Kanalisation und ich habe daraufhin zwei oder drei Mahlzeiten ausgelassen...!

Erst als wir nach Matagalpa im Hochland kamen, hatten wir das Gefühl, dass auch das Gemüt der Menschen wieder etwas freundlicher, etwas sonniger wurde. Wir verbrachten einige Tage auf der Kaffee Hacienda ‚La Hammonia’ in der Region Selva Negra. Die dreimonatige Kaffeeernte mit bis zu 900 Wanderarbeitern ist im Februar fast abgeschlossen und die Hacienda beschäftigt neben 250 Festangestellten (hauptsächlich für die Lodge mit insgesamt 120 Betten) nur noch etwa 100 Kaffeepflücker. Die Hacienda und die Lodge auf 1200 müM sind Vorzeigebetriebe. Weitestgehend autark werden hier dank der harten Währung Exportkaffe, Masstäbe in Oekologie (Biokaffee seit 1970, Biogasanlage seit 1976, 800 Ha ursprünglicher Nebelwald mit verschiedenen endemischen Arten) und Sozialem Engagement (eigene Schule, Handwerkliche Ausbildung, faire Entlöhnung, Langzeitanstellungen) gesetzt. Der Exportkaffe, von dem übrigens etwa drei Viertel der weltweit produzierten Mengen über Schweizer Firmen gehandelt werden, ist in Nicaragua etwa gleich teuer wie in der Schweiz, was ihn für die meisten Nicaraguaner unerschwinglich macht. Das wird auch der Grund sein, weshalb in Nicaragua, wie in Costa Rica auch, der Kaffee nach amerikanischer Art, sprich ziemlich bis extrem dünn serviert wird und uns verwöhnten Espressotrinkern nicht besonders schmeckt.

Nach den kühlen Bergen hat es uns wieder in die Karibik verschlagen. Big Corn Island liegt etwa 90 Km vor dem Festland und hat das Prädikat big  weil es in der Nachbarschaft auch noch die Little Corn Island gibt. Aber selbst Big Corn Island ist nach einer Stunde joggen auf der einzigen Strasse fast vollständig umrundet.

Die Insulaner leben gut vom Fischfang in den kristallklaren Gewässern und reichen Riffen rund um die Insel. Haupteinnahmequelle ist die Langosta (Hummer). Die Fischer haben zwar noch etwas rote Köpfe, weil die kürzlich eingeführte dreimonatige Fangsperre für Hummer auch auf gewisse Fischarten ausgedehnt werden soll, ansonsten geht das Leben auf der Insel seinen sehr gemächlichen Lauf. Auf Big Corn Island haben wir Bergler wieder mal richtig Sonne und Meer getankt. Regelmässig waren wir schon vor dem Frühstück im konstant 26-28° warmen, türkisgrünen Atlantik. Die Lichtstimmungen abends und morgens sind schlicht spektakulär. Zumal der Mond auch noch praktisch voll war und auch nachts einen karibischen Zauber über das glückliche Eiland legte. Und das Essen...karibisch pikant, sehr abwechslungsreich und immer frisch aus dem Meer, die Bergler wähnten sich im Himmel von Mariscos y Pescados.

In Granada war dann wieder alles ganz anders. Eine schmucke Kleinstadt mit etwa 100'000 Einwohnern. Im Gegensatz zu Leon sind hier sehr viele koloniale Gebäude liebevoll instandgehalten. Auf den ersten Blick wird klar, dass hier auch heute noch mehr Mittel zur Verfügung stehen als in den anderen Regionen Nicaraguas. Zum Einen weil der Staat in seine touristische Attraktion Nummer eins investiert, zum Anderen aber leisten sich  auch immer mehr Private ein altes Stadtpalais, welches dann oft aufwendig renoviert wird. In diesen renovierten Gebäuden finden sich einige ganz schöne, kleinere Hotels. Besonders die vielen liebevoll gestalteten Innenhöfe mit schattenspendendem Grün und manchmal einem Pool zur Kühlung gefallen uns sehr und sind ideale Orte um die heissesten Stunden des Tages in einer Hängematte vorbeiziehen zu lassen. Nach der Siesta geht’s dann wieder raus auf die belebten Plätze und Strassen mit vielen Cafés und Bars und Strassenständen. Auch nehmen wir die Bewohner Granadas viel offener wahr als andernorts in Nicaragua. Wir werden wieder angesprochen und in Gespräche verwickelt und es gefällt uns in Granada sehr gut.

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