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Colombia

Nach unserer spätabendlichen Ankunft in Bogota, ging es früh am nächsten Morgen weiter. Zwei abenteuerliche, holprige Pistentage quer durch die Östliche Andencordillere später, haben wir uns in einer hübschen Cabana in der Sierra Nevada del Cocuy auf 3900 M.ü.M. einquartiert. Diese Station diente uns zur Akklimatisierung an die grosse Höhe. Die Natur hier oben ist überwältigend. Eine weite Grastundra durchzogen von mäandrierenden Bachläufen welche sich in Lagunas, kleinen Seen, und sumpfigen Gebieten sammeln, bis hinauf auf 5000MüM wo die Gletscher beginnen. Das alles überspannt vom unendlich weiten Blau des Himmels. Die Stars der Region sind aber zweifellos die Frailejones. Eigentümliche Gewächse die sich in verschiedenen Arten an die kargen Lebensbedingungen des Paramo angepasst haben. Die pelzigen Pflanzen wachsen jährlich nur Millimeter. Wir haben Exemplare angetroffen, die waren über drei Meter hoch!

Nach einer ersten Wanderung kehrten wir in unsere  Alphütte zurück und waren erst mal bedient. Zur Müdigkeit gesellten sich auch noch Übelkeit und Kopfschmerzen, aber das sei ganz normal meinten unsere Guides. Deswegen mache man ja die Akklimatisierung. Es wird auch hier sehr rasch dunkel. Und sobald die Sonne weg ist, kriecht die Kälte in die Glieder. Die Temperaturen fallen nachts bis knapp an den Gefrierpunkt und steigen tagsüber gegen 10°. Das ist für uns ja eigentlich nichts Besonderes, allerdings verfügte keine einzige Unterkunft über eine Heizung... die Hütte hatte zwar ein Cheminée, aber der Kamin geht gleich nach der Feuerstelle direkt ins Freie, so dass die ganze Wärme abzieht. Die Wände sind aus dünnen Holzdielen gezimmert, ohne Isolation. Fenster und Türen sind ringsum mit genügend Licht eingebaut damit man sie auch sicher öffnen kann... unter Bergen von Wolldecken brauchten wir ziemlich lange zum Einschlafen. Nach einer wenig erholsamen Nacht war dann das währschafte Zmorge sehr willkommen. Kartoffelsuppe mit Rindfleisch und Koriander, danach ein paar Eier und dazu heisse Schokolade mit Käse. Kein Witz, hier wird der Käse in den Kakao geschnibbelt. Überhaupt wird hier eigentlich zu jeder Gelegenheit Käse gereicht. Gerieben über den grasgrünen Gelatineglibberpuddingmitkünstlichemapfelaroma, als Frischkäse direkt aus der Presse, zu einem groben Mocken Rohrzuckercandy oder später in Inirida reichlich über einen Bananasplit geraffelt.

Unser eigentliches Ziel in dieser Region war der Gipfel des Pan de Azucar auf 5200 M. Frühmorgens stapften wir im Schein unserer Stirnlampen los. Erst gemütlich ein kleines Seitental hinauf, aber schon bald krabbelten wir über ein gigantisches Geröllfeld mit hausgrossen Blöcken eine steile Stufe hinauf. Danach spazierten wir etwa eineinhalb Stunden über eine vom Gletscher abgeschliffene Granitplatte. Atemberaubende Umgebung. Die Anden sind aus geologischer Sicht wesentlicher älter als die Alpen. Die Witterung hatte sehr viel mehr Zeit, die Steinoberflächen zu erodieren was für uns Vor- und Nachteile hatte. Das Geröll besteht ausnahmslos aus abgerundeten Steinen was das Gehen sehr, sehr mühsam und kräftezehrend macht. Hingegen gibt es auf den Platten Gripp ohne Ende...

Auf ca. 4900 M. wechselten wir auf den Gletscher. Vorbei am imposanten Pulpito del Diablo (Teufelskanzel), wo der Legende nach in der Silvesternacht der Gehörnte persönlich seine Aufwartung macht, kamen wir bei sehr guten Verhältnissen zügig in Richtung Gipfelgrat voran. Dieser entpuppte sich dann als ziemlich ausgesetzt und zusätzlich hüllten uns jetzt dichte Wolken ein. Der Gipfel selbst war eine sehr enge und sehr windige Angelegenheit. Das Gipfelerlebnis dauerte daher nur kurz. Die Euphorie über das Erlebte hielt aber wesentlich länger!

In Kolumbien reisen wir in Begleitung von Diana Rios. Die Kolumbianerin hat in Luzern studiert und hat danach in Bogota die Reiseagentur ‚Authentic Colombia’ gegründet. Die quirlige Latina liebt ihr buntes, spannendes und extrem abwechslungsreiches Land und seine ebenso vielfältigen Bewohner. Die Anden, Urwälder, Küstenregionen, Wüsten, Sümpfe, Tieflandebenen und jede Region hat ihre eigene Kultur. Dianas Lieblingsregion sind aber die Berge und sie hat uns ihre Lieblingsplätze gezeigt. Weil das Gelände und auch das Wetter in den höheren Andengebieten mit den tief eingeschnittenen Tälern recht schnell ruppig werden kann, wurden wir zudem vom einheimischen Bergführer und Fotografen Julio Granados begleitet. Er ist in der Sierra Nevada del Cocuy aufgewachsen und kennt hier jeden Busch und jeden Felsen und jeden Einheimischen. Und natürlich kennt er all die abenteuerlichen Geschichten, welche sich in den einsamen Orten und unzugänglichen Tälern so zu tragen... Claudia und ich waren anfänglich etwas skeptisch wenn wir daran dachten, tagtäglich begleitet und umsorgt zu werden. Aber alle Bedenken waren unbegründet. Ganz schnell war klar, dass wir alle auf derselben Wellenlänge funken und wir haben ganz einfach eine tolle Reise mit Freunden erlebt. Diana und ihr Netzwerk haben uns viele Türen geöffnet die wir als Individualreisende gar nie zu Gesicht bekommen hätten. Muchas gracias Diana!

Nach den eindrücklichen Tagen in der urwüchsigen Natur der Anden reisten wir nach Cartagena de Indias an die Atlantikküste. Was für ein Kontrast! Die heisse, enge, lebhafte, koloniale Altstadt, (UNESCO-Weltkulturerbe) ist ein einziger touristischer Hotspot mit allen Annehmlichkeiten und negativen Aspekten. Museen, edle Boutiquen, Designhotels, mondäne Restaurants, Bars und ein Heer von Strassenhändlern buhlen um die Gunst der vielen Touristen, welche häufig von einem der riesenhaften Kreuzfahrtschiffe stammen, die im Hafen für einen oder zwei Tage vor Anker liegen. Nördlich der Altstadt erstreckt sich eine halbmondförmige Landzunge, welche in der Art von Miami mit imposanten Hochhäusern zugepflastert ist. Hier residieren gut abgeschirmt reiche Latinos, Asiaten und Gäste aus dem Arabischen Raum in grosszügigen Appartements. Die Mehrzahl der rund 1 Million Einwohner leben aber ausserhalb dieser beiden Gebiete in eher bescheidenen Barrios und Behausungen. In vielen Quartieren gibt es keine befestigten Strassen. 

Die Quartiere der kolumbianischen Städte sind in 6 verschiedene Klassen eingeteilt, je nach vorhandener Infrastruktur und vorherrschender sozialer Schicht. Die Preise für Mieten, Strom, Wasserversorgung, Kanalisation aber auch anderen Dienstleistungen wie Schulen oder Löhne richten sich nach diesen Klassen. In der Klasse 1 sind die Barrios marginales, die häufig illegal errichteten Armenviertel welche Strom und Wasser irgendwo abzapfen. Ein Gesetz erlaubt es aber den Bewohnern dieser Quartiere sich nach einer gewissen Zeit offizialisieren zu lassen. Die Grundstücke werden auf die jeweiligen Bewohner eingetragen, die Verwaltung erschliesst die Gebäude mit Strom und Trinkwasser und schon ist das Quartier in der Klasse 2. Was bei diesem Beispiel durchaus Sinn macht, nämlich dass man ein Grundstück auf seinen Namen eintragen lassen kann, wenn man nachweist, dass man es schon seit einer gewissen Zeit (es sind mehrere Jahre) nutzt, das kann andernorts schon mal zu grösseren Krisen führen. Wer nämlich sein Haus ohne einen entsprechend wasserdichten Vertrag vermietet, der muss tatsächlich damit rechnen, dass der Mieter irgendwann alles auf sich eintragen lässt...!

Während zwei Tagen tauchten wir in das lebhafte Treiben der bunten Altstadt mit der reichen kolonialen Vergangenheit, bevor wir uns wieder in die Natur absetzten. Etwa 6 Autostunden nördlich von Cartagena, bei Santa Marta, liegt der Parque Nacional Natural Tayrona. Unsere Unterkunft, eine wunderschöne Eco Lodge, erreichten wir nach einer etwa zweistündigen Wanderung durch den Regenwald. Dieser Park war 1969 der erste Nationalpark Kolumbiens. Heute gibt es insgesamt knapp 60 dieser staatlichen Schutzgebiete. Allerdings wird kein einziger dieser Parks auch vom Staat geführt was zu sehr unterschiedlichen Regeln, Standards und Preisen führt. Der Betrieb wird mittels langjähriger Lizenzen entweder an die Indigenas oder an spezialisierte Gesellschaften (viele Parks werden von einer Französischen Betreibergesellschaft betrieben) vergeben. Der PNN Tayrona, benannt nach dem hier seit mehreren tausend Jahren wohnhaften Stamm der Tayrona, bietet grosse Regenwaldgebiete welche direkt an die traumhaften Karibikstrände reichen. Die Tayrona wohnen aber nicht am Strand sondern in den dahinterliegenden Hügeln. Auf uralten Pfaden wanderten wir durch die von Wasserläufen durchzogenen, unwegsamen und schweisstreibenden Wälder, auf der Suche nach alten Spuren von nicht mehr bewohnten Dörfern. Abends dann, ein wohltuendes Bad in einer geschützten Bucht und ein feines Nachtessen. Früchte, Kartoffeln, Kochbananen, Mais, Yuka, Fisch oder Geflügel. Unterschiedlich zubereitet aber das sind die Hauptzutaten von praktisch jeder Mahlzeit hier. Und alles ist frisch und sehr, sehr lecker!

Weiter nördlich liegt der Parque Sierra Nevada de Santa Marta mit dem imposanten Pico de Cristobal Colon. Der Pico ist nicht nur der höchste Berg in Kolumbien (5775 M.) sondern einer der höchsten weltweit. Sein Felsgipfel ragt sagenhafte 5500 M. über das darunterliegende Plateau. Verständlich dass ein solcher Riese die Fantasie von so manchem Bergsteiger anregt. Aber bei den Fantasien wird es vorerst bleiben. Für die drei in der Region ansässigen Indiostämme ist der Berg die Heimat ihrer Götter und sie haben den Zutritt zum Berg untersagt. Offiziell aus Angst, dass die schlechten Gedanken der Besucher ihre Gottheiten ‚verseuchen’ könnten. Wir finden: schön, wenn die Kultur der Indigenas zur Abwechslung auch einmal respektiert wird. Wenn dem denn so ist... bekannt ist nämlich auch, dass die abgeschiedene, schwer zugängliche Region der Sierra mit  tief eingeschnittenen Tälern lange Zeit ein grosses Marihuana-Anbaugebiet war. Später kamen die FARC und mit ihnen der Coca Anbau. Die Guerilla wurde erst vor ein paar Jahren aus der Region vertrieben und seither weiss eigentlich niemand mehr so genau, was in diesem Gebiet so vor sich geht. 

Am Rande des Nationalparks der Sierra Nevada de Santa Marta haben wir 4 Tage ausgespannt. Natürlich, wieder einmal, am Karibikstrand. Alle die Aktivitäten, alle die vielen Eindrücke wenn man jeden Tag Neues entdeckt, wollen zwischendurch auch mal verarbeitet werden! El Matuy ist ein kleines privates Reservat mit vielen Vögeln und bietet 10 Bungalows in einem Kokoshain. El Matuy war auf unserer ganzen dreimonatigen Reise ein absoluter Höhepunkt und die aller tollste Unterkunft, welche wir kennenlernten (wir haben seit Januar immerhin in etwa 40 verschiedenen Betten geschlafen...). Unser Bungalow auf Stelzen war das Vorderste, direkt am Strand. Juhui, Schwein gehabt! Einfach aus Holzplanken gezimmert mit einem hohen Dach aus Palmwedeln und einer schattigen Veranda mit Platz für zwei Hängematten. In einem Anbau Bad und Dusche unter freiem Himmel. Es gibt nirgends Schlösser zum Abschliessen. Es gibt keinen elektrischen Strom (naja, es gibt in der Küche eine Notsteckdose für alle Bedauernswerten, welche es einfach nicht schaffen ein paar Tage ohne ihre elektronischen Spielzeuge auszukommen). Gekocht wird mit Gas oder Holz. Die Mahlzeiten sind einfach und setzten sich aus denselben Hauptzutaten wie oben beschrieben zusammen. Zum Frühstück gibt’s Arepas und Eier. Zum Zmittag einen gebratenen Fisch. Zum Znacht, im Schein von Kerzen,  Arroz con Camarones. Einfach himmlisch. Das ganze Leben findet hier draussen an der frischen Luft statt. Wir haben praktisch 4 Tage in der Hängematte verbracht und es in vollen Zügen genossen.

Im ‚Santuario de Flora y Fauna los Flamencos’, einem kleinen offiziellen Nationalpark in der nördlichsten kolumbianischen Provinz La Guajira, hatten wir bei den Parkbetreibern eine Bootstour in die Lagune mit den Flamingos gebucht. Ein Mittagessen bei einer einheimischen Familie war ebenfalls vorgesehen. Alles war bereits im Voraus bezahlt wie das in Kolumbien eigentlich überall üblich ist, auch für viele Unterkünfte. Am Eingang zum Park wurden wir dann allerdings von den Indigenas abgefangen. Wortreich schwadronierend und mit vielen Andeutungen, unklaren Antworten, Ausflüchten und offensichtlichen Unwarheiten haben sie uns an allen offiziellen Stellen vorbei in ein kleines Boot buxiert, wollten uns erst 80, später immerhin noch 40 USD abknöpfen, und sind mit uns beiden, sowie einigen anderen Booten, ohne weitere Kommentare oder Erklärungen eine gute Stunde zu den Flamingos gepaddelt. Die grossen Vögel scheinen jedoch eher skeptisch was die Präsenz von Menschen angeht. Als wir uns auf etwa 200 Meter genähert hatten, flog die etwa 30 Tiere umfassende Gruppe auf und entschwand auf Nimmerwiedersehen. Das war‘s. Während uns auf dem Rückweg weitere Boote entgegenkamen wurden wir zurück zum Ausgangspunkt und zum Eingang des Parks gebracht. Tschüss und auf wiedersehen! Wie sich herausstellte, versuchen hier die Indios das Geschäft zu übernehmen indem sie die Besucher abfangen und auf eigene Rechnung durch die flache Lagune schippen. Obwohl es sicher nicht verkehrt ist, die einheimische Bevölkerung an solchen Projekten zu beteiligen, bezweifle ich stark, dass die Tiere oder die Natur von unserem Obolus profitieren konnten. Aber glücklicherweise haben wir ja zweimal Eintritt bezahlt, nur unsere Verköstigung, die ist dann halt ausgefallen...!

Über Riohacha, dem Verwaltungssitz der Provinz, flogen wir nach Bogota, wo wir die Ostertage verbrachten. Die Hauptstadt von Kolumbien liegt langgezogen in einem fruchtbaren Tal auf einer Höhe von über 2600 MüM, erstreckt sich auf einer Fläche die in etwa so gross ist wie der Kanton Luzern und zählt rund acht Millionen Einwohner. Das sind für uns schon sehr imposante Ausmasse. Speziell ist auch der Anflug auf den Flughafen. Weil die Stadt von hohen Gebirgszügen der Östlichen Cordillera umgeben ist, können die Flugzeuge die Pisten nicht direkt anfliegen. Über den Ausläufern der Stadt drehen die Flugzeuge deshalb bei nur geringer Flughöhe 360°-Kreise um Höhe abzubauen. Das ermöglicht spektakuläre Ausblicke auf die Stadt, vorausgesetzt man sitzt im Flugzeug auf der richtigen Seite.

Wir wohnten in einem hippen Quartier im Stadtteil Usaquen. Backsteinhäuser von kolonial bis ultramodern, beschauliche Gässchen, viele kleine Geschäfte, Galerien, Künstler, Bars & Kneipen, Gaukler, Handwerker, Flohmärkte, Kunsthandwerk, Strassenkaffees…viele Menschen in den Strassen, Familien am Flanieren, spielende Kinder, ältere Semester beim Schwatz rund um die Kirchen, jahrmarktähnliche Stimmung in den öffentlichen Parks…alles ganz weit weg von den Bildern eines unberechenbaren und gewalttätigen Molochs welche sich, gespeist aus entsprechenden Nachrichten, auch bei uns irgendwo im Unterbewusstsein festgekrallt hatten. Sicher, es gibt eine andere Seite. Wir haben die in den steilen Hängen wuchernden Armenviertel auch gesehen. Wir wissen, dass es Gegenden gibt, welche auch von den Einheimischen gemieden werden und Quartiere die selbst von der Polizei nicht betreten werden. Diese andere Realität ist aber heute weit weniger stark im Vordergrund als sie es noch vor 10 Jahren war. Die Metropole ist wie das ganze Land, weitgehend von den lähmenden Fesseln von Gewalt und Terror durch Drogenbarone, Guerillas und Paramilitärs befreit.  Wenigstens an der für uns sichtbaren Oberfläche. Das harte Durchgreifen durch die Regierung Uribe (2002 – 2010) ist nicht unumstritten und hat insbesondere in Fragen der Landrechte der Indigenas, der Hunderttausenden durch die massiven Militäreinsätze Vertriebenen, sowie in den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militärs auch klar belegbare negative Auswirkungen. Kolumbien gilt aber heute als eines der stabilsten und sichersten Länder des Kontinents. Es ist für uns direkt spürbar wie grosse Teile der kolumbianischen Bevölkerung aufatmen, ihr eigenes Land entdecken, etwas aufbauen, investieren und damit auch erfolgreich sind. Der südamerikanische Gigant ist im Aufbruch. Die Kapitale brummt um die Wolkenkratzer in der City, das Zentrum mit dem Regierungssitz, den historischen Gebäuden und Plätzen ist verkehrsbefreit, die TransMillenio, das zur Jahrtausendwende in Betrieb genommene Busnetz deckt die gesamte Hauptstadt ab.  Bogota  rühmt sich selbst als die europäischste aller Grosstädte Südamerikas. Lediglich im Strassenverkehr, da zeigt sich unverhohlen das südamerikanische Temperament seiner Bewohner und wir sind mehr als einmal froh, dass wir hier nicht selber hinter dem Lenkrad sitzen. Mitfahren ist uns anstrengend genug!

Nach der Grossstadt reisten wir in eine der abgelegensten Ecken von Kolumbien. Die Provinz Guainia ganz im Osten ist fast gänzlich von Regenwald bedeckt und mit 0.5 Einwohnern pro Quadratkilometer die am dünnsten besiedelte. In der Provinzhauptstadt Puerto Inirida lebt rund die Hälfte der ca 30‘000 ausschliesslich indigenen Bewohner der gesamten Provinz. In Guainia gibt es keine Strassen. Puerto Inirida wird zwei Mal die Woche ab Bogota angeflogen. Der restliche Verkehr wickelt sich auf den mächtigen, weitverzweigten Flüssen ab. Orinoco, Guaviare und Rio Inirida sind die Lebensadern im Dreiländereck von Kolumbien, Venezuela und Brasilien. An ihren Ufern liegen die kleinen, Dörfer der Indios, welche ihre  beträchtlichen Territorien, innerhalb einer insgesamt 200‘000 Quadratkilometer umfassenden indigenen Sonderzone, mit weitreichenden Befugnissen selber verwalten.

Wir waren zu Besuch im Dorf La Ceiba von Capitan Delio Sanchez, der von allen nur Capi genannt wird. Seit fünfzehn Jahren ist er der 80-Köpfigen Gemeinschaft ein verantwortungsbewusster Chef, was eine ausserordentlich lange Zeitspanne ist, denn der Vorsteher wird jedes Jahr neu gewählt. In vielen anderen Dörfern ist deshalb jedes Jahr ein neuer Capitan am Ruder. Die Welt von Capi hat uns extrem beeindruckt. Die Gemeinschaft lebt vom Fischfang, von der Jagd und von dem was sie anpflanzt. Die Jagd ist allerdings nicht mehr besonders einträglich. Zu lange schon jagen die Indigenas in ihren Gebieten, die Tiere haben sich tief in die weiten Wälder zurückgezogen. Und die Menschen hier sind nicht wählerisch was ihre Jagdbeute betrifft. Vögel aller Art, Affen und andere Säugetiere, bei ihnen landet mit wenigen Ausnahmen alles im Kochtopf. Riesenotter zum Beispiel, meint Capi, die seien eine richtige Plage, weil sie ihnen dauernd die Fische wegfressen würden. Gleichzeitig seien die Tiere so voller Sehnen, die seien einfach ungeniessbar… andere Tierarten hatten weniger Glück, weil sie die Indios in bare Münze umtauschen konnten: verschiedene Schildkrötenarten, Zierfische, Kaimane und Alligatoren, sowie gefleckte Katzen gelten in den Indiogebieten als ausgerottet.

Capi  befindet sich mit seinen 47 Jahren in einer traurigen Zwickmühle. Er macht sich grosse Sorgen was die Zukunft seiner Gemeinschaft betrifft. Die traditionelle Lebensweise seiner Kindheit lässt sich je länger je weniger aufrechterhalten. Der Generator, der seit kurzem jeweils abends Strom für Licht, hauptsächlich aber für Fernsehgeräte und Stereoanlagen liefert, frisst viel Treibstoff. Ebenso die Aussenborder für die Einbäume, welche ebenfalls erst kürzlich das paddeln von Hand abgelöst haben. Seit Hugo Chavez tot sei (Inirida liegt direkt an der Grenze zu Venezuela), hätten sich die Preise für den geschmuggelten Treibstoff mehr als verdoppelt.  Als Capitan ist er traditionell dafür verantwortlich, dass es allen Mitgliedern der Gemeinschaft gut geht. In der heutigen Zeit bedeutet dies unter anderem, dass er dafür sorgen muss, dass genug Diesel für den Generator zur Verfügung steht. Um das moderne Zeitalter finanzieren zu können, holzt Capi eigenhändig die schönsten Bäume ab und verkauft das wertvolle Holz der Urwaldriesen an Händler, welche das Gebiet regelmässig abklappern. Zwei seiner vier Kinder studieren an einer fernen, staatlichen Uni. Sie erzählen ihrem Vater, dass es nicht gut ist wenn er seinen Wald, seine Lebensgrundlage, verschachert und dass ihn die Händler obendrein mit den Preisen übers Ohr hauen würden. Sie bringen ihrem Vater Bücher mit, erklären ihm die Moderne Welt, die Zivilisation, aber Capi kann das nicht so recht verstehen. Capi träumt davon, Touristen wie uns zu beherbergen, ihnen seine Wälder zu zeigen und vom Tourismus leben zu können. Aber die Region ist so abgelegen, hierher verirren sich kaum Touristen. Die meisten Ausländer die hier auftauchen sind Holzhändler, Goldsucher oder Missionare. Capi ist ein umsichtiger Mensch, der sich sehr um seine Kultur und seine Ressourcen sorgt. Es schmerzt ihn, dass er seinen Wald abholzen muss und er hat sich bisher trotz verlockenden Angeboten geweigert, den Holzkonzernen Anteile seines 2500 Ha. grossen Stammesgebiet zu verkaufen. Er sorgt sich um seine seit Generationen überlieferte Kultur welche von den Missionaren als Teufelsanbetung gebrandmarkt, und von den jungen Mitgliedern des Clans als rückständig und wenig erstrebenswert betrachtet wird. Goldschürfer sprechen bei ihm vor um ihm für ein paar Scheine die Erlaubnis abzuringen in den Flüssen nach Gold zu schürfen. Capi aber hat in der Umgebung gesehen was die Goldsucher anrichten weil sie die aus dem Flusssand gefilterten Goldflitterchen mit Quecksilber binden. Die Lebensgrundlage Fluss wird zerstört; die Fische sterben, das vergiftete Wasser wird zum Bewässern der Pflanzungen genutzt und getrunken. Die Folgen sind verheerend und haben ganze Dörfer ausgelöscht. Capi hat uns gefragt, was denn die Klimaerwärmung bedeuten würde und mit welchen Folgen er deswegen zu rechnen habe. Wir gaben unser Bestes, dem Mann eine plausible Erklärung zu geben. Später stellte sich heraus, dass letzthin Gringos im Dorf waren, die dem Capi viel Geld boten für CO2-Emissionszertifikate, welche sie wegen besagter Klimaerwärmung auf seine Waldgebiete auszustellen gedachten. Capi verstand nicht was die Fremden wollten und als vorsichtiger Mensch ist er nicht auf ihr Angebot eingegangen. 

Wie bereits erwähnt, wir waren tief beeindruckt von diesen Menschen und von der Tragweite der Herausforderungen, die tagtäglich auf diese Gemeinschaft einwirken. Mit welcher Zuversicht sie in die Zukunft schauen und welche Erwartungen sie an das Leben haben. Von der urwüchsigen Natur die mit ihrem alles überwuchernden Grün und den weiten Flüssen so mächtig scheint und doch, gerade hier, so verletzlich ist. Unser Bild des selbst bestimmten und im Einklang mit der Natur lebenden Indios hat sich in dieser Woche doch ziemlich verschoben. Gerne hätten wir unserem Capi ein paar Antworten auf seine Fragen gegeben. Nichts destotrotz. Es war eine wunderbare Erfahrung die herzliche Gastfreundschaft dieser Menschen zu geniessen. Wir haben viele Geschichten und Anekdoten gehört, wurden eingebunden und mitgenommen. Es wurde viel gelacht und am Schluss geweint als wir uns verabschiedeten.

Kolumbien ist ein aufregendes Land. Zu vielschichtig als das es in vier Wochen erfasst, geschweige denn in ein paar Sätzen beschrieben werden kann. Für uns ist jedoch klar, in Kolumbien gibt es noch sehr viel zu entdecken und wir werden sehr gerne in dieses Land zurückkehren.


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